Mehr Platz in der Region Bern – über den Stellenwert von öffentlichem Raum für lebendige Quartiere
Welches ist dein Lieblingsplatz in der Region Bern? Der Bundesplatz? Der Münsterplatz? Der Vorplatz der Reitschule? Der Liebefeldpark? Das Marzili? Oder doch dein Quartier- oder Dorfplatz? Wir alle haben unsere Lieblingsplätze und andere öffentliche Räume, die wir nie besuchen. Das Gleiche gilt für die gesamte Bevölkerung.
Erschienen im Regiolinks, Juni 2016
Definierte und undefinierte Regeln dominieren die öffentlichen Plätze: Die offiziellen Regeln werden durch die Städte, Gemeinden und Grundeigentümer_innen gemacht: Wer am Bahnhof Werbemuster verteilen will, muss bezahlen; trotz Versammlungsfreiheit braucht es auf dem Bundesplatz eine Bewilligung für eine Demonstration, während das Recht, einen Event durchzuführen, gekauft werden kann; wer einen Märit-Stand auf dem Bärenplatz aufstellt, muss dies anmelden und das vorgegebene Zeitfenster einhalten.
Es gibt aber auch ungeschriebene Regeln. Oder könnt ihr euch vorstellen, zu den Menschen beim Schachspiel auf dem Bärenplatz hinzugehen und zu sagen: „Jetzt will ich spielen, ihr seid bereits seit Stunden dran“? Auf dem Vorplatz der Reitschule Coca-Cola-Dosen mit Werbeflyer zu verteilen? Oder vor einem Fussballspiel im Wankdorfstadion den ganzen Vorplatz zum Einradfahren zu beanspruchen?
Sowohl die offiziellen als die ungeschriebenen Regeln führen immer wieder zu Konflikten zwischen Anspruchsgruppen. Wie können wir als SP damit umgehen? Platz bzw. öffentliche Plätze „für alle statt für wenige“ gilt auch hier!
Die Benutzung vieler öffentlicher Plätze wird immer wieder eingeschränkt und der Bevölkerung damit wichtigen Freiraum weggenommen. Die berühmt-berüchtigten „Steine“ in der Bahnhofsunterführung wurden vom Randgruppentreffpunkt zum sitzlosen Einkaufszentrum. Die Plattform vor dem Münster ist während der Nacht für die Bevölkerung geschlossen, um den Drogenhandel einzuschränken. Im Eichholz patrouillieren Broncos, um erfolgreich Lärm- und Rauchemissionen für Anwohner_innen zu vermindern. Dies sind berechtigte Anliegen, oder weniger berechtigte, je nach persönlicher Einstellung oder Betroffenheit. Wenn wir uns am Versprechen „für alle statt für wenige“ messen lassen wollen, darf der Nutzungsdruck auf den einzelnen Plätzen aber nicht zu gross werden. Nur so finden tatsächlich alle ihren Platz. Damit gilt die Devise: Mehr und unterschiedliche öffentliche Räume in Bern und Region schaffen.
Der belebte Europaplatz ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass nicht alle Plätze gleich sein müssen. Er ist ein Novum in der regionalen Platzpolitik. Sitzgelegenheiten um die Säulen vermitteln die Botschaft, dass alle hier verweilen und beispielsweise ein mitgebrachtes Dosenbier trinken dürfen. Dies ist ein verbreitetes Bedürfnis unterschiedlichster Gruppen, die sich den Besuch im Restaurant nicht leisten können und dennoch den sozialen Kontakt und einen Treffpunkt suchen. Die Lage unter der Autobahnbrücke macht den Platz für viele zum „Unort“. Aber kein anderer Platz ist so gut vor Regen und Sonne geschützt. Davon hat zum Beispiel das Street-Food-Festival profitiert. An jedem anderen Platz wäre dieser kulinarische Höhepunkt wortwörtlich ins Wasser gefallen.
Mehr Platz für alle! Damit sich alle Gruppen, egal, ob wir die Gruppe mögen oder nicht, ihren Platz aneignen können. Dazu braucht es auf den Plätzen auch undefinierte Freiräume. Schliesslich ist der öffentliche Raum der Spiegel unserer Gesellschaft. Wenn Personen oder Gruppen von Plätzen verdrängt werden, ist dies ein Zeichen dafür, dass wir auch ihre Ansprüche oder Probleme in der Gesellschaft verdrängen.