Kinderbetreuung: Der Markt solls richten
“Mit dem Betreuungsgutscheinsystem wird die familienergänzende Kinderbetreuung zu einem rein privaten Markt, auf den die Gemeinde weder Einfluss nehmen kann noch will.” Das schreibt der Könizer Gemeinderat auf meine Frage, was die Umstellung auf Betreuungsgutscheine für die Familien bedeutet. Mit meinem Vorstoss wollte ich herauszufinden, was in Zukunft auf kommunaler Ebene überhaupt noch unternommen werden kann, um die Kinderbetreuung von Familien erschwinglich zu gestalten, gute Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in den Kitas zu garantieren und die Qualität zu gewährleisten. Die Antwort fällt überraschend ehrlich aus und zeigt, welchen Stellenwert die Kinderbetreuung bei der bürgerlichen Mehrheit auf kantonaler und kommunaler Ebene geniesst – oder eben nicht.
Kinderbetreuung ist Service Public
Kinderbetreuung ist wichtig. Das ist unterdessen gesellschaftlich anerkannt. Sie ist wichtig für die Chancengerechtigkeit, denn sie übernimmt eine wichtige Rolle für die frühe Förderung von Kindern. Sie ist wichtig für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und fördert die Erwerbsbeteiligung von Eltern. Und damit erhöht sie messbar die Steuereinnahmen und senkt das Risiko von Familienarmut.
Kinderbetreuung ist wichtig. Sie ist aber in der Schweiz im Allgemeinen und auch im Kanton Bern sehr teuer. Weil sich der Staat im Vergleich zu anderen Ländern sehr wenig an den Betreuungskosten beteiligt. Das ist in einer Gesellschaft, die auf Erwerbsarbeit ausgerichtet ist, ein Problem. Denn damit wird die Erwerbsarbeit von Eltern erschwert oder sie ist mit hohen Ausgaben verbunden. Familien sind bei uns denn auch besonders häufig von Armut betroffen und müssen Sozialhilfe beziehen. Andererseits werden auch Familien mit mittleren Einkommen durch die Betreuungskosten stark belastet.
Weil Kinderbetreuung so teuer ist, gab es bisher subventionierte Kita-Plätze. Nun soll dieses System für den ganzen Kanton Bern umgestellt werden. Neu soll es nur noch Betreuungsgutscheine statt subventionierte Plätze geben. An dieser Stelle werde ich nicht auf grundsätzliche Kritikpunkte an diesem Systemwechsel eingehen, die es durchaus gibt. Sondern ich möchte der Frage nachgehen, welche Auswirkungen die beschlossenen Änderungen für die Familien haben.
Auf kantonaler Ebene wurde die Chance verpasst, die Umstellung so zu gestalten, dass wir bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familile einen Schritt weiterkommen. Eines der grössten Probleme ist, dass auf kantoneler Ebene keine zusätzlichen Mittel in die Kinderbetreuung fliessen sollen. Damit bleiben die Preise auch im Kanton Bern sehr hoch.
Das Problem der Preise bekommen wir mit der Umstellung auf Betreuungsgutscheine also nicht in den Griff. Dies sei auch nicht die Idee, schreibt der Gemeinderat von Köniz in der Antwort auf meine Interpellation. Er schreibt: “Ein Preisanstieg kann nicht verhindert werden. Es ist auch nicht der Sinn eines Betreuungsgutscheinsystems, die Preise zu regeln. Künftig soll der private Markt spielen.”
Schlimmer noch: Mit der Umstellung könnten die Preise in Zukunft sogar steigen und die Qualität sinken. Denn damit das neue System kostenneutral umgesetzt werden kann, hat der Regierungsrat beschlossen, in Zukunft auf Ausbildungspauschalen und Risikozuschlag zu verzichten. Kitas haben wenig Spielraum, diese fehlenden Mittel zu kompensieren. Sie können die Kita sehr stark auslasten (mehr als 97%), was die Qualität mindert, sie können beim Personal sparen, was auch die Qualität mindert, oder sie können die Elternbeiträge erhöhen. Wahrscheinlich ist eine Kombination aus allen drei Möglichkeiten.
Das neue System ist aber auch aus einem anderen Grund ein Paradigmenwechsel. Bis jetzt hatten die Gemeinden nähmlich eine aktive Rolle in der vorschulischen Kinderbetreuung und konnten über die kantonalen, ungenügenden Bemühungen hinausgehen. Mit meinem Vorstoss wollte ich herauszufinden, was in Zukunft auf kommunaler Ebene überhaupt noch unternommen werden kann, um die Kinderbetreuung von Familien erschwinglich zu gestalten, gute Arbeits- und Ausbildungsbedingungen in den Kitas zu garantieren und die Qualität zu gewährleisten.
Nichts – so zumindest die Antwort des Gemeinderats in Köniz: “Mit dem neuen System wird die familienergänzende Kinderbetreuung zu einem rein privaten Markt, auf den die Gemeinde weder Einfluss nehmen kann noch will.” Als ich das gelesen habe, habe ich kurz geschluckt. Die Gemeinde verabschiedet sich also aus der Verantwortung für eine bezahlbare und qualitätsvolle Kinderbetreuung.
Der gesamte Qualitätsprozess auf kantonaler Ebene sei zudem noch nicht beschlossen: “Die Kitas erhalten die Betriebsbewilligung vom kantonalen Jugendamt und sind an dessen Vorgaben gebunden. Der Kanton gibt für die Anbieter auch die Zulassungskriterien zur Abrechnung von Gutscheinen vor. Ob und in welchem Rahmen diesbezüglich künftig eine Einflussnahme durch die Gemeinde möglich sein könnte, wird sich erst zeigen, wenn im Rahmen des geplanten Gesetzes über die sozialen Leistungsangebote (SLG) die Bewilligung und Aufsicht über die Kitas und Tagesfamilien neu geregelt wird.”
Dass in Köniz nicht nur der Gemeinderat nicht will, sondern auch das Parlament, hat sich bereits gezeigt. Eine Mehrheit aus SVP-FDP-Mitte (GLP, EVP, BDP, CVP) hat trotz Widerstand von Rot-Grün bereits beschlossen, dass die Betreuungsgutscheine in Köniz limitiert sein sollen. Es sollen also nicht alle anspruchsberechtigten Eltern einen Betreuungsgutschein erhalten. Das ist schlicht kurzsichtig.
Kinderbetreuung ist wichtig. Es ist eine öffentliche Aufgabe, ein Teil des Service Public. Was die bürgerliche Mehrheit auf kantonaler und kommunaler Ebene da serviert, ist absolut ungeniessbar.