Rede zum 1. August

Liebe Könizer:innen
Liebe Gäste

Als Kind hatte die Schweiz für mich etwas zu tun mit den Alpen, dem Thunersee, und klaren Vorstellungen, wer zur Schweiz dazu gehört und wer nicht. Ich bin im Berner Oberland aufgewachsen. Ich hatte nicht einfach so einen Platz in dieser klar strukturierten Welt. Vielleicht gerade darum habe ich viel beobachtet, was um mich herum geschieht. Und ich habe versucht, es zu verstehen.

Ich habe gemerkt, dass es bei genauerem Hinsehen ganz viele unterschiedliche Menschen und Lebensrealitäten gibt. Und dass es Reibflächen gibt, dort, wo Realitäten und Interessen aufeinandertreffen. Ich habe gemerkt, dass es wichtig ist, einander zuzuhören und zu versuchen, sich gegenseitig zu verstehen. Ich habe gemerkt, dass dort, wo ein Austausch stattfindet, auch das Verständnis wächst. Und dass dieses Verständnis wichtig ist, damit wir miteinander Lösungen finden.

Die Schweiz ist vielfältig. Was das bedeutet, kann ich mir als Gemeindepräsidentin von Köniz besonders gut vorstellen, denn Köniz ist eine Schweiz im Kleinen. Es gibt nicht das eine Zentrum, sondern unterschiedlichste Ortsteile, urbane und ländliche, und wunderschöne Landschaften. Das ist unsere Stärke. Doch das alleine genügt nicht.

Eine ältere Frau hat mich vor ein paar Wochen vor dem Aldi hier in Köniz angesprochen. Sie hat mir gesagt, dass es ihr Angst macht, die Zeitung zu lesen. Denn dort steht, dass die Mieten steigen. Sie kennt viele Leute, die Angst haben, wenn sie die Zeitung lesen.

Was nützen uns die wunderschönen Alpen und der Thunersee, der Gurten und die Aare, die schönsten Landschaften – wenn die Menschen, die darin leben, Angst haben? Wen sie Angst haben vor der Zukunft?

Es gibt tatsächlich genügend Gründe, sich Sorgen zu machen. Die Klimaerwärmung, die steigenden Krankenkassenprämien, das fehlende Pflegepersonal und der Lehrpersonenmangel, nur um ein paar zu nennen. Einige von uns sind verletzlicher und härter betroffen von diesen Problemen und haben grössere Sorgen als andere. Auch das erlebe ich als Gemeindepräsidentin und es macht mich sehr betroffen.

Die Stärke des Volkes, so sagt es unsere Bundesverfassung, misst sich am Wohl der Schwachen. An diesem symbolträchtigen Tag sollten wir uns daran erinnern, dass wir die Schweiz gestalten können. Für die Sorgen und Ängste, welche die Menschen haben, gibt es Lösungen. Und diese Lösungen haben wir alle in unserer Hand.

Es waren Menschen, die unsere Institutionen und die Bundesverfassung geschaffen haben. Das waren langwierige und schwierige Prozesse, in denen es auch immer wieder zu grossen Konflikten und schwierigen Momenten kam. Es hat viel Energie, Überzeugung und Kompromisse gebraucht. Für die damalige Zeit war die Bundesverfassung enorm mutig und vorausschauend. An diesen Mut sollten wir uns auch heute erinnern, und unsere Demokratie weiter ausbauen, so dass auch der Viertel der Bevölkerung, welcher kein Stimm- und Wahlrecht hat, von unseren ausgebauten politischen Rechten Gebrauch machen kann.

Unsere starken Institutionen und politische Rechte bieten nämlich eine gute Grundlage, um gemeinsam Lösungen zu finden. Eine Lösung, wie zum Beispiel die AHV. Auf sie bin ich stolz, wenn ich an die Schweiz denke. Sie ist eine Errungenschaft, die das Leben von vielen Generationen verbessert hat. Auch dieses Sozialwerk wurde nicht über Nacht eingeführt. Es war ein langer, beschwerlicher Weg voller Konflikte und Kompromisse. Und auch bei diesem Sozialwerk sind wir immer wieder gefordert. Die Einführung der AHV zeigt aber eindrücklich auf, was möglich ist, wenn wir gemeinsam ein Problem lösen und Armut zielgerichtet bekämpfen wollen.

Besonders stolz bin ich auch auf das grösste Bauprojekt, das die Schweiz in ihrer Geschichte an die Hand genommen hat: Auf die NEAT. Es umfasst den Ausbau der zwei Nord-Süd-Achsen für den Schienenverkehr. Eine unglaubliche Errungenschaft, die die Schweiz verbinden, die Umwelt schützen und unseren Alltag verbessert und prägt. Auch diese Bauwerke sind nicht über Nacht entstanden. Doch es war möglich, sich darauf zu einigen.

Diese grossen Errungenschaften, auf die ich stolz bin, sind alle schon etwas älter. Mir scheint es wichtig, dass wir uns daran erinnern, dass grosse Würfe für grosse Probleme möglich sind. Auch heute sind grosse Würfe möglich, und wir können Lösungen finden, wenn wir dies wollen. Und ist die Schweiz nicht eine Willensnation? Ist Köniz nicht eine Willensgemeinde?

Wenn ich heute an die Schweiz denke, dann denke ich an die unterschiedlichen Menschen, die hier leben. Denn gerade die Vorstellung, dass die Schweiz, dass Köniz aus vielen unterschiedlichen Menschen besteht, gerade diese Vielfalt macht mir Hoffnung.

 Die Schweiz an die ich heute denke, ist divers. Sie steckt voller Möglichkeiten, Träumen und Ideen. Machen wir etwas daraus. In der Willensnation Schweiz, in der Willensgemeinde Köniz braucht es diesen grossen Willen unsere Welt zu gestalten. Damit niemand, der oder die hier lebt, Angst haben muss.

Ich wünsche euch allen einen wunderschönen 1. August.

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